Suffering and Smiling

Vom Abenteuer des Glaubens in meiner Heimat Nigeria

Joseph Chidi Anumnu in der St. Charles Kirche Okwelle, Nigeria Joseph Chidi Anumnu in der St. Charles Kirche Okwelle, Nigeria

In diesem Artikel habe ich eine kurze Reflexion über Religion als ein Abenteuer des Glaubens voller Hoffnung und / oder voller Optimismus im Kontext meiner Heimat Nigeria geschrieben. Das Thema dieses Artikels ist so gestaltet, dass es zum Hauptthema dieses Magazins „Suche“ passt. Religion an sich besteht aus einer menschlichen Suche. Sie ist ein bewusstes menschliches Verhalten, welches nach Antworten auf Fragen über Gott und das Leben im Allgemeinen sucht. Der Mensch sucht nach dem Antlitz Gottes, um Gunst und Sicherheit zu erlangen.[i] Die folgenden Worte des Psalmisten drücken das menschliche Verhalten gegenüber der Religion aus: „Dein Angesicht, HERR, will ich suchen. Verbirg nicht dein Angesicht vor mir […]“ (Psalm 27, 8-9). Diese Worte drücken die eifrige Suche nach dem Herrn mit erwartungsvoller Hoffnung auf Antworten aus, die den Kontext und die Situation des Bittstellers begünstigen würden. Um das Ziel der Religion zu erreichen, spielen daher zwei Faktoren zugleich eine wichtige Rolle: Glaube und Hoffnung. Während der Glaube die Triebkraft der Religion ist, leitet die Hoffnung den Glauben, um zu verhindern, dass er sozusagen aufgibt.

Es gibt Religion in vielerlei Gestalt in allen Ländern und auf allen Kontinenten der Welt. So auch in meiner Heimat Nigeria. Religion existiert dort in all ihren verschiedenen Arten und Formen. Grundsätzlich gibt es drei große Religionen in Nigeria. Diese sind: Christentum, Islam und traditionelle afrikanische Religion(en)[ii]. Es gibt jedoch eine vierte Variante, die man als indigene panafrikanistische Religion(en) bezeichnen könnte.[iii] Ich werde mich hier auf die christliche Religion konzentrieren, insbesondere auf den Katholizismus, um das unvermeidliche Zusammenspiel von Glauben und Hoffnung bei der Ausübung dieser Religion zu betonen.

Die Kirche in Nigeria: Beginn und Gegenwart

Die katholische Kirche in meiner Heimat Nigeria ist ein Kind der Mission und der unermüdlichen Evangelisierungsarbeit der frühchristlichen Missionare. Das Christentum kam zufällig nach Nigeria. Dies liegt daran, dass im späten 15. Jahrhundert portugiesische Kaufleute nach Nigeria kamen, die es für rentabel hielten, ihre religiösen Ideologien auch an ihre afrikanischen Handelspartner zu verkaufen. Den Portugiesen war es auch wichtig, dass ihre indigenen Handelspartner zum Christentum konvertierten, damit sie zu Verbündeten gegen den Islam wurden.[iv] Daher wurden die ersten Missionsversuche 1472 von portugiesischen Missionaren unternommen, die die portugiesischen Kaufleute nach Nigeria begleiteten. Zu diesem frühen Zeitpunkt gewann die Mission jedoch keinen dauerhaften Halt. Ein beeindruckender Erfolg wurde ab dem frühen 16. Jahrhundert verzeichnet. Der Grund dafür ist, dass die Missionare im späten 15. Jahrhundert eher als Begleiter der Kaufleute fungierten, ab dem 16. Jahrhundert aber ein echtes eigenes Interesse für die Mission bei den Missionaren geweckt wurde. Diese erneute Missionstätigkeit des 16. Jahrhunderts begann durch die Ankunft der portugiesischen katholischen Missionspriester, die 1515 nach Südnigeria kamen. Eine Bitte des prominenten Monarchen Esigie (1504-1550), Oba (König) von Benin, an König Manuel von Portugal wurde so erfüllt.[v] Es genügt hier zu sagen, dass die frühe Missionstätigkeit in Nigeria mit der Kolonialzeit gleichzeitig geschah. Die Kombination der kommerziellen Interessen der Portugiesen und der aktiven Präsenz der britischen Kolonialisten waren die Hauptfaktoren, die die leichte Verbreitung des Christentums in Nigeria vorbereiteten und unterstützten.

Die frühchristlichen Missionare haben für die Menschen in Nigeria enorme missionarische Arbeit geleistet. Sie haben die christliche Religion propagiert und unter anderem die Einrichtung von Schulen und Ausbildungszentren sowie Gesundheitseinrichtungen unterstützt. In jedem Fall ist die Rezeption des christlichen Glaubens in Nigeria regional unterschiedlich. Im Süden war die Rezeption des Christentums einfacher und schneller als im Norden. Grund dafür ist, dass der Islam schon viele Jahre in Nordnigeria war, etwa 500 Jahre vor der Kolonialzeit und dem Christentum. Die christlichen Missionare hatten daher Schwierigkeiten, in die islamische Hochburg Nordnigeria einzudringen.[vi] Im Süden wurde die Verbreitung des römischen Katholizismus von den portugiesischen Missionaren (überwiegend im Südwesten) und den französischen und späteren irischen Missionaren (Südosten) vorangebracht.

Vor der Ankunft der Missionare verehrten die Menschen Gott traditionell auf eine Weise, die ihrem Glaubensdrang entsprach. Sie suchten nach Antworten, wie es in jeder gegebenen Religion der Fall ist, wie oben diskutiert. Religion bedeutete ihnen viel, so dass sie in ihrem täglichen Leben wahrgenommen werden konnte. Zum Beispiel zeigt sich Religion in den Namen, die sie tragen, ihren traditionellen Artefakten, traditionellen Riten und Zeremonien, Liedern und Märchen. Wenn man heute von den Nigerianern als zutiefst religiöse Menschen spricht, dann nicht, weil ihre Glaubensmanifestationen auf der höchsten Ebene der Glaubensskala stehen, sondern weil es eine Lebensweise ist, die jede Facette ihres Lebens sowohl innerhalb als auch außerhalb die Kirche durchdringt. Man kann daher sagen, dass die religiöse Tendenz der Nigerianer von den starken religiösen Traditionen der Vorfahren geerbt wurde. Das streng konservative Christentum, das von den frühen Missionaren gelehrt wird, hat auch einen starken Einfluss auf sie. In jüngerer Zeit ist schließlich die Welle des Pentekostalismus (Pfingstbewegung) zu einem Phänomen geworden, das mehr oder weniger einen lebendigen Ausdruck der christlichen Spiritualität unter die Menschen gebracht hat.

Blickt man heute auf die bescheidenen Anfänge des Katholizismus in Nigeria zurück, ist festzustellen, dass er in Anzahl und Umfang Erfolg hatte. Die Erfolgsgeschichte des Katholizismus in Nigeria kann sogar in den nordmuslimisch besiedelten Gebieten wahrgenommen werden, in denen das Christentum seine größte Akzeptanzherausforderung hatte. Die Weltbank schätzt die nigerianische Bevölkerung derzeit auf etwa 200 Millionen Menschen.[vii] Weiter wird in der Dokumentation zu Katholiken und Kulturen die nigerianische katholische Bevölkerung auf etwa 29 Millionen geschätzt.[viii] Das sind mehr Katholiken als in Deutschland. Es gibt viele Aspekte des nigerianischen Katholizismus, die zu interessanten Diskussionen führen könnten. Angesichts unseres Diskussionsthemas (Religion als hoffnungsvolle Suche nach Antworten) möchte ich mich jetzt auf einen kleinen wichtigen Aspekt konzentrieren. Ich nenne diesen Aspekt „suffering-and-smiling-Christianity“. Ich werde ihn im nächsten Abschnitt verwenden, um den Sinn für Glauben und Hoffnung im religiösen Ausdruck der Nigerianer zu betonen.

Suffering-and-Smiling-Christianity“: Ein Zeichen des Glaubens oder der Resignation?

Die Aussage „suffering-and-smiling“ wurde in Nigeria durch ein Musikalbum „Shuffering and Shmiling“[ix] des nigerianischen Afrobeat-Komponisten Fela Kuti von 1977 populär. Das Lied ist eine Kritik an organisierten Religionen (Christentum und Islam). Das Lied behauptet, dass diese Religionen durch ihre Lehre von einer glücklichen eschatologischen Zukunft im Himmel (bzw. Paradies) die Nigerianer einer wahnhaften Befriedigung mit einem dysfunktionalen Status quo ausgesetzt haben. Ich möchte das Lied nicht analysieren, sondern nur die Aussage („suffering-and-smiling“) verwenden, um eine kritische Perspektive zu eröffnen, die den Ausdruck der Religion durch Nigerianer oder ihre religiöse Denkorientierung darstellt. Die allgemeine Lebenseinstellung eines Volkes spielt eine wichtige Rolle für seine religiöse Orientierung. Der Grund ist nicht weit hergeholt, denn die Kirche ist nur eine der sozialen Institutionen (oder Komponenten), aus denen die Gesellschaft besteht. Nigeria gilt derzeit als eines der ärmsten Länder der Welt, obwohl es vom Schöpfer reichlich mit menschlichen und natürlichen Ressourcen ausgestattet ist. Die einzige Lücke, die das Land von ihren reichen Potenzialen trennt, ist die schlechte Führung und Korruption ihrer Regierung und Eliten. Die Zeitungen sind voller sensationeller Anschuldigungen gegen korrupte Beamte. Bei der überwiegenden Mehrheit der Bürger herrscht große Armut. Die Unsicherheit nimmt stetig zu und macht täglich Schlagzeilen. Aber inmitten dieses schwierigen Kontextes, in dem die durchschnittlichen Nigerianer leben, bleiben sie ein glückliches Volk und behalten ihre unerschrockene religiöse optimistische Haltung bei. Meine persönliche Meinung ist, dass im Herzen des nigerianischen Volkes ein anhaltender Optimismus liegt, der es von allen anderen Menschen unterscheidet. Es ist ein Optimismus, der über jede schwierige Situation hinausblickt und Licht am Ende des Tunnels sieht, auch wenn ein solches Licht möglicherweise nicht existiert. Sie sagen gern, dass Dinge in der Zukunft besser werden, selbst wenn die Realität anders aussieht.

Bereits oben habe ich festgestellt, dass Glaube und Hoffnung zwei Faktoren sind, die Religion wirklich zu einer Suche machen. Wenn die Nigerianer wirklich ein religiöses Volk sind, könnte ihre optimistische Haltung daher als Stärke oder Schwäche angesehen werden? Angesichts des derzeit schwierigen Kontextes (politisch-sozioökonomisch), in dem Nigerianer leben (Christen und Nichtchristen), sehen viele den optimistischen Lebensstil Nigerias tatsächlich als negativ an. Diese Kritiker sagen, dass der optimistische Lebensstil der Nigerianer eine Art Teufelskreis (circulus vitiosus) ist, der sie ins Nirgendwo führen kann; manche nennen es „Hoffnung gegen Hoffnung”. Die religiösen Führer wurden oft von vielen Menschen dafür kritisiert, dass sie keinen Widerstand gegen die Regierung geleistet haben.  Insgesamt behaupte ich jedoch, dass in jedem Ausdruck einer Religion, der diesen Namen verdient, der Glaube, der in guten Werken zum Ausdruck kommt, nicht als mangelhaft empfunden werden sollte (cf. Jakobus 2,14-26). Gleichzeitig sollte ein solcher Glaube von Hoffnung geleitet sein, in der ein anhaltender Optimismus mitschwingt. Wenn der Glaube nach dem Hebräerbrief Feststehen ist in dem, was man erhofft und Überzeugung von Dingen, die man nicht sieht (vgl. Hebräerbrief 11, 1), dann wird die Hoffnung zu einer treibenden Kraft oder einem Leitfaden für solchen Glauben. Zu diesem Zweck wird die christliche Religion zu einem Abenteuer des Glaubens, das von der Hoffnung auf die Verheißungen Jesu Christi geleitet wird.[x] Eines bleibt in der derzeitigen Realität in unserer Welt sicher: Die Zukunft des Katholizismus und sogar des Christentums insgesamt hängt stark von der christlichen Bevölkerung in Afrika ab,[xi] von der Nigeria einen relativ großen Anteil ausmacht. Ihr Engagement für die katholische Religion lässt auf die Zukunft unseres Katholizismus hoffen. Ihre lebendigen liturgischen Feiern bleiben ein Schatz für die ganze Kirche. Ihre Beharrlichkeit, an Ihren Überzeugungen festzuhalten, selbst angesichts zunehmender Armut und manchmal Verfolgung an ihrem Glauben, muss gefördert werden. Und Sie, liebe Leser, frage ich nun, ob für Sie der Zusammenhang zwischen Glauben und Hoffnung als untrennbarem Aspekt der Religion einen Sinn ergibt. Und weiter in Bezug auf den Begriff „suffering-and-smiling-Christianity“, ob Sie ihn als Zeichen des Glaubens oder der Resignation betrachten. Dieses Thema bleibt offen für weitere Diskussionen. Ich denke nur mal laut.

 



ENDNOTE

 

[i] In den Worten von Johannes Paul II. könnte Religion als „Auf dem Weg der Suche nach der Wahrheit“ beschrieben werden; d.h. eine Suche nach Wahrheit über Gott, über die Menschen und die Welt  (Vgl. Johannes Paul II., „Fides et Ratio“, Enzyklika über das Verhältnis von Glaube und Vernunft, Rom, 14. September 1998, Kapitel III, Nr. 24-27. Abgerufen 23. Januar 2021, von: http://www.vatican.va/content/john-paul-ii/de/encyclicals/documents/hf_jp-ii_enc_14091998_fide s-et-ratio.html).

[ii] Die traditionelle Religion (en) bezieht sich hier auf die Art und Weise, wie die Religion vor dem Kommen der fremden Religionen wie Christentum und Islam praktiziert wurde.

[iii] Der Begriff indigene panafrikanistische Religion (en) wird hier verwendet, um jene Religionen zu bezeichnen, die von den indigenen Völkern gegründet wurden und deren Inhalte die fremden Religionen wie den Islam oder das Christentum nachahmen. Ein klares Beispiel hier im nigerianischen Kontext wären die „Aladura“ Gruppen    (z. B. Cherubim und Seraphim usw.). Hier beobachtet man eine Mischung aus Christentum und traditionellen afrikanischen religiösen Riten.

[iv] Vgl.  Taiye Adamolekun, „Main Trends in the Church Growth in Nigeria“.  In: European Scientific Journal, Vol. 8, No.23, 2012, [S. 1-12], hier: S. 2. Auch online verfügbar unter: https://core.ac.uk/download/pdf/328023473.pdf, Abgerufen:  20. Januar 2021.

[v] Vgl. ebd. S. 2.

[vi] Vgl. Emefie Ikenga-Metuh, „Muslim Resistance to Missionary Penetration of Northern Nigeria, 1857-1960“. In: Mission Studies, Brill, Vol. 3, No.1, 1986, S. 28-40. DOI: https://doi.org/10.1163/157338386X00268.

[vii] Vgl. The Word Bank, „Population, total – Nigeria“.Abgerufen 23. Januar 2021, von: https://data.worldbank.org/indicator/SP.POP.TOTL?locations=NG.

[viii] Vgl.  Catholics & Cultures, „Nigeria“. Abgerufen 23. Januar 2021, von: https://www.catholicsandcultures.org/nigeria.

[ix] „Shuffering and Shmiling“ bedeutet „suffering-and-smiling“ in Tauben- (oder gebrochenem) Englisch. Es ist eine umgangssprachliche Phrase, aber eine Ironie des Lebens, die wörtlich Leiden und Lächeln gleichzeitig bedeutet.

[x] Vgl. Ogonna Hilarry Nwainya, „An Eschatological View of the Year of Faith: Witnessing to Hope in an Age of Despair“. In: Luke Ijezie et al (Ed.), Religious Faith and Public Service in Nigeria: Ambiguities and Paradoxes, Port Harcourt, 2014, [S. 197-227], hier: S. 197.

[xi] Vgl. Johannes Paul II., „Ecclesia in Africa“, nachsynodales apostolisches Schreiben über die Kirche in Afrika und ihren Evangelisierungsauftrag im Hinblick auf das Jahr 2000, Yaoundé, in Kamerun, 14. September 1995, no. 136. Abgerufen 23. Januar 2021, von: http://www.vatican.va/content/john-paul-ii/de/apost_exhortations/documents/hf_jp-ii_exh_14091995_ecclesia-in-africa.html. Siehe auch: Lebo Diseko, “Pope Francis in Africa: Is the continent the Catholic Church's great hope?” BBC News, 3 September 2019. Abgerufen 23. Januar 2021, von: https://www.bbc.com/news/world-africa-49564397.